19 Apr NATIONALTHEATER 2.0

Nur wenige Schritte entfernt von der noch in Planung befindlichen „Studentenstadt” im Süden von Budapest steht seit nunmehr fast 20 Jahren das architektonisch vollkommen aus der Zeit gefallene Nationaltheater, entworfen von – erinnert sich noch jemand? – Mária Siklós. Die Geschichte, wie es zu diesem unzeitgemäßen und lächerlichen Theaterbau kam ähnelt sehr dem, was gerade im Zusammenhang mit der „Studentenstadt” passiert. Deswegen hier noch einmal zur Erinnerung:

Den offenen Architekturwettbewerb für das neue Nationaltheater gewann 1997 Ferenc Bán mit einem dekonstruktivistischen Bau am Erzsébet tér, dessen Ausführung auch kurz darauf begann.

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Doch dann wurde 1998 Viktor Orbán Ministerpräsident und übergab seinem Regierungsbeauftragten György Schwajda die Abwicklung des Projekts. Angebliche Wasserschäden am Bau mussten dafür herhalten, dass selbiger eingestellt und ein weiterer Architekturwettbewerb ausgeschrieben wurde. Diesmal wurden dem Geschmack der neuen Mannschaft genehme Architekten geladen und der Standort weitab vom Stadtzentrum, nördlich der Rákóczibrücke, neu bestimmt.

Diesen zweiten Wettbewerb gewann im Frühjahr 2000 ein klarer, moderner Entwurf von György Vadász. Doch weil auch dieser kein Gefallen bei den Offiziellen fand, wurden nachträglich einfach die Ausschreibungsmodalitäten geändert, sodass nun endlich der historisierende Entwurf der zuvor ausschließlich mit Theaterrekonstruktionen befassten Architektin Mária Siklós ausgeführt werden konnte.

Erstaunlicherweise wurde das Haus zwei Jahre später von Orbán höchstpersönlich eingeweiht, obwohl Frau Siklós aufgrund ihres unkollegialen Verhaltens aus der Architektenkammer ausgeschlossen war.

520.000 Quadratmeter für China

Nun, 20 Jahre später, läuft etwas weiter südlich der gleiche Film ab. Nur dass es sich diesmal nicht nur um einen Kulturbau, sondern um das ambitionierteste Stadtentwicklungsprojekt der letzten Jahrzehnte handelt. Auf dem Gelände des früheren Großmarktes soll in malerischer Wasserlage die sogenannte „Studentenstadt” entstehen. Den städtebaulichen Wettbewerb hierzu gewann 2018 das norwegische Büro Snøhetta, und in diesen Tagen, am 20. April, sollen die ersten Architekturwettbewerbe entschieden werden. In zwei Jahren könnten hier also bereits Studenten einziehen.

Das Nachrichtenportal Direkt36 veröffentlichte nun ein Regierungsprotokoll, wonach auf dem Gelände 520.000 Quadratmeter für den neuen Campus der chinesischen Fudan-Universität errichtet werden sollen. Laut dem Protokoll sollen ausschließlich chinesische Unternehmen mit chinesischem Know-how und Baumaterial das Stadtviertel errichten. Zu Recht standen sofort die Fragen zur ursprünglichen Nutzung, zum weiteren Wettbewerbsvorgehen sowie zur Zukunft des Masterplans von Snøhetta im Raum.

Um Antwort bemühte sich nach den unüberhörbar gewordenen Zweifeln am transparenten Fortgang der Entwicklung der „Studentenstadt” der Regierungsbeauftragte Balázs Fürjes. Ja, so hieß es in einer Pressekonferenz, der Fudan-Campus kommt, wird aber die „Studentenstadt“ nicht beeinträchtigen. Die von Fürjes präsentierten Pläne ließen jedoch offen, wo und wie die 520.000 Quadratmeter für die chinesische Universität verwirklicht werden sollen.

Nur 24 Stunden später war Fürjes nicht mehr Regierungsbeauftragter für die „Studentenstadt”, sondern ausgerechnet jener Minister László Palkovics, der den Fudan-Deal ausgehandelt hat. Da Palkovics auch den Bau der Bahnstrecke Belgrad-Budapest koordiniert, welcher ebenfalls von China errichtet wird, bleiben Zweifel an einer transparenten Umsetzung des ursprünglichen Städtebaukonzepts weiterhin bestehen. Ein Nationaltheater 2.0 könnte das Ende der Geschichte sein.

Die Tour zur Studentenstadt gibt’s HIER.